Zeiten Wechsel

Günter Wermbter - Aufbau in der Friedensstraße
Günter Wermbter - Aufbau in der Friedensstraße - 1970 - Öl auf Leinwand - 80x121 cm

Zeiten Wechsel

Die Zeit, oft als Fluss bezeichnet, ist eine Dimension, die im Leben wie auch in der Kunst in den Phasen von Umbrüchen und Wechsel am deutlichsten fassbar wird. Vorausschauende Ahnung, rückschauende Reflektion oder Verklärung, schlichter Vergleich des Alten mit Neuem oder dokumentarische Absicht sind ohne einen zeitlichen Fixpunkt, das Jetzt, nicht möglich. So entsteht ein Spannungsbogen zwischen dem Künstler, der für dieses Unterfangen nur eine begrenzte Fläche zur Verfügung hat, und dem Betrachter, der das darauf entstandene Bild zu entschlüsseln hat. Je nach der Spanne wiederum vergangener Zeit nach dem Entstehen des Bildes sind für den Betrachter von heute zwei Zeitebenen zu berücksichtigen. Eine davon ist vielleicht die Erinnerung an bestimmte, selbst noch erlebte Veränderungen wie die deutsche Wiedervereinigung für heutige Besucher.

Verfall, Zerstörung und Wiederaufbau sind wohl die gängigsten Motive, die insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg viele Künstler zu Chronisten haben werden lassen. Garski, Hoffmann, Wermbter, Wolf und Schwarz widmeten sich diesem Thema recht anschaulich, zum Teil dokumentarisch, und hielten auch Details fest, die ihre Werke zu Zeitdokumenten werden ließen. Slesinas alte und neue Bäckerei sind hingegen die typischen Zeugnisse alltäglicher Veränderungen im Stadtbild.

Curt Ehrhardt - Preußengeist
Curt Ehrhardt - Preußen-Geist in Brandenburg - 1922 - Öl auf Karton - 57x90 cm

Zwischen den beiden Bildern „Preußengeist in Brandenburg“ von 1922 und „Stadt bei sinkender Nacht“ von 1958 liegen ein halbes Leben, die Erfahrung mit zwei Weltkriegen sowie mit der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. Diese Zeit hat nicht nur in Curt Ehrhardts täglichem Leben deutliche Spuren hinterlassen, sie hat den introvertierten, mit Fantasien und Symbolen übervollen Künstler fast aufhören lassen zu malen. Seine Themen und Formensprache aber haben diesen Einschnitt nicht nur überstanden, er hat sie trotz aller Umbrüche weiter entwickeln können. Der „Preußengeist in Brandenburg“ von 1922 zeigt uns Curt Ehrhardts Ahnung vom heraufdämmernden Militarismus und der ungezügelten Gewalt rechter Organisationen und Freikorps. Die in dadaistischer Art in das Bild gesetzten Worte „Unheil“ und „Dämon“ und das die Bismarckwarte umklammernde übergroße Insekt lassen die Gefahr spürbar werden, die für Ehrhardt von den Reichswehrverbänden und der vollkommen unterschätzten „Bewegung“ der Nationalsozialisten in seiner Heimatstadt ausging, wo in einer ehemaligen Infanteriekaserne unter dem Deckmantel einer Polizeischule schon wieder reguläre Soldaten ausgebildet wurden. Das Bild ist Zeugnis einer sensiblen Wahrnehmung gesellschaftlicher Strömungen und eine klar formulierte Warnung.

Walter Garski - Die zerstörte Jahrtausendbrücke
Walter Garski - Die zerstörte Jahrtausendbrücke - 1945 - Mischtechnik auf Papier - 22,7x30 cm

In „Stadt bei sinkender Nacht“ überwiegt viel später der von Steiners Philosophie getränkte Kern seines malerischen Ichs, der sich in der Frühphase schon ankündigt. Der Mond, anfangs noch Symbol des über den Menschen stehenden Universums, erscheint am Ende seiner Brandenburger Zeit personifiziert, die Menschen dafür seltsam verformt. Der Dom unten links im Bild belegt, dass diese in gedeckten Farben zerfließende Ansammlung menschlicher und dinglicher Formen die Stadt Brandenburg in des Malers ureigenster Wahrnehmung ist. Die Dämmerung kündigt ein Ende, einen Abschied an, den bevorstehenden Auszug aus seiner Heimat, die er jahrzehntelang nicht verlassen hatte.

Thomas Bartels Linolschnitt „Oktober Neunundachtzig“ ist ein Revolutionsbild, das Neue Forum zieht durch die Altstadt von Brandenburg, vorne steht noch ein Lauscher der Stasi, links verschwinden weitere Stasimitarbeiter mit Koffern voller Akten aus der offenen Tür ihres Bürogebäudes. Die „Firma“ hat schon begriffen, was sich mit den Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 zusammenbraute. Das laut protestierende „Volk“ ist nicht mehr aufzuhalten. Das Bild wirkt nicht nur durch seine holzschnitthafte Pointierung wie ein politisches Plakat, es ist unmittelbar unter dem Eindruck der losbrechenden Veränderungen in der DDR entstanden und hatte ebenfalls eine klare politische Botschaft: Schluss mit dem Überwachungsstaat!