Faszination Variation

Arnold Topp - Der Turm // Rot und Gelb
Arnold Topp - Der Turm - 1918 - Öl auf Karton - 85x60,5 cm // Rot und Gelb - 1918 - Öl auf Karton - 55,5x43,5 cm

Faszination Variation

Viele Malerinnen und Maler haben ein Motiv, welches ihnen aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr aus dem Kopf geht. Es beschäftigt und inspiriert sie oder fordert sie heraus. Vielleicht sind es verschiedene Stimmungen, in denen das Motiv ihnen begegnet, vielleicht verschiedene Techniken, um es zu transformieren. Manche variieren das Motiv in Serien, manche suchen darin den Topos, sammeln alle Belege, die sich ihnen bieten. Oft braucht es auch mehrere Bilder und Variationen, um die innere oder äußere Komplexität eines Motivs zu fassen oder einfach immer wieder dessen Schönheit zu besingen.

Der Berliner Architekturmaler Eduard Gaertner malte die Ansicht der Katharinenkirche drei Mal. Das erste ging wohl verloren. 1870 entstand das zweite Bild, wovon Gaertner zwei Jahre später eine fast identische Kopie anfertigte. Diese Kopie ist wahrscheinlich sein letztes Werk. Das Motiv ist die Nordseite der um 1400 begonnenen Kirche mit der 1430 gebauten Fronleichnamskapelle. Die Katharinenkirche ist eines der herausragenden Beispiele norddeutscher Backsteingotik. Bei Gaertner stand die exakte Dokumentation der Baukunst im Vordergrund, er gilt als ein Wegbereiter der preußischen Denkmalpflege und Dokumentarist der Bauten seiner Zeit. Die beiden Bilder erscheinen fast wie Suchbilder, nur Details und das Licht sind unterschiedlich. Die beiden alten Eichen bilden den Rahmen des Bildes, die reich verzierte Kapelle wird von der Abendsonne angestrahlt. Beide Bilder wirken sehr poetisch, bei aller Exaktheit verklären sie die Vergangenheit und zeichnen eine fast biedermeierliche Idylle. Gaertners große Zeit in Berlin war damals lange vorbei, er hatte sich mit seiner Frau in den Flecken Zechlin zurückgezogen, von wo aus er seine letzten Fahrten durchs Land als malender Chronist unternahm.

Die vier Dombilder und den „Raub des Rolands“ malte Topp alle 1918. In „Rot und Gelb“ stürzen zertrümmerte Formen über aufbrechendem Boden zusammen, im Zentrum bricht der Domturm ineinander. Das Bild wird beherrscht durch den Gegensatz von Rot und Gelb, der durchaus an ein Flammeninferno erinnert, das sich unter dem einzig kühlenden Firmament abspielt. Es ist eine Parabel des Schreckens. Der Dom war ein Symbol für dauerhafte Stabilität und unveränderbare Verhältnisse in einem christlich geprägten Umfeld, welches nach fast tausend Jahren durch den Weltkrieg zum Einsturz gebracht wurde. Das Erschrecken vor dem Ende alles Gewohnten, einer fest gefügten Ordnung, deren gefühlter Schutz nun wegbrach, wird deutlich durch den schwankenden Boden, der selbst den mächtigen Brandenburger Dom nicht mehr hält: Er stürzt zusammen. Auf der Rückseite des Gemäldes „Der Dom zu Brandenburg“ hat Topp vermerkt: „Oh Gott, richte es!“ Das ist durchaus doppelsinnig zu verstehen, der Ruf richtet sich nicht nur an die äußere Welt, sondern bezieht sich auch auf die auseinander fallenden Bildachsen. Der „Rote Beter“ reckt verzweifel in einem Chaos aus Gestirnen und einer zusammenfallenden Stadt ein Kreuz in der Rechten in den Himmel, während das goldene Kreuz auf der Domspitze geknickt ist. Die „Komposition der Diagonale“ lässt wiederum erkennen, dass es ihm auch um formale und farbtheoretische Experimente ging, die die kubistische Avantgarde der Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgte.

Jan Beumelburg - Steintorturm II
Jan Beumelburg - Steintorturm II - 1994 - Aquarell und Pastell auf Papier - 48x30 cm

Jan Beumelburg - Steintorturm III
Jan Beumelburg - Steintorturm III - 1994 - schwarzer Buntstift und Kohle auf Papier - 47x33 cm

Jan Beumelburg - Steintorturm IV
Jan Beumelburg - Steintorturm IV - 1994 - Aquarell und Pastell auf Papier - 48x30 cm

In der gleichen Zeit malte Topp die Stadtlandschaft „Der Raub des Rolands“, die kompositorisch dem Dombild „Rot und Gelb“ nahesteht, nur diesmal mit dem steinernen Roland als Mittelpunkt. In der Reihe von Topps wichtigsten Brandenburg-Bildern steht er hier als Einzelbeleg für eine Form der Faszination Topps, die sich über das Motiv auf die Sagenwelt seiner neuen Heimat bezieht: Die Stadt Brandenburg war im Mittelalter zweigeteilt, die ältere „Altstadt“ Brandenburg hatte als königliche Marktgründung vor ihrem Rathaus eine Rolandfigur stehen. Doch die neidischen „Neustädter“ Bürger stahlen die Figur bei Nacht und Nebel, brachten sie über die Havel und stellten sie vor ihrem eigenen Rathaus auf. Die Entschlüsselung des Bildes durch Topps Biografen Enders stützt sich auch auf Berichte von Zeitgenossen, die „seinen gelegentlichen Hang zum Märchenhaften“ erwähnten, der Werkbund-Architekt Adolf Behne sagte Topp einen „romantischen Wesenszug“ nach.

Ein Hauptmotiv in der Stadt Brandenburg sind Türme. Darunter finden sich mit dem Dom und den anderen Kirchtürmen auch die Tortürme der Stadt, die immer wieder gemalt wurden. Emil Spiess hat alle vier Türme mehrfach gemalt. Seine dynamische Serie von 1987 und 1988 zeigt expressiven Strich neben gespachtelten Flächen in starken Farben. Die Kompositionen sind teilweise angelehnt an klassische Vorbilder wie Feininger oder die Fauves. Spiess war nicht nur von seiner Malerei besessen, er war es auch von den Motiven seiner Stadt.

Viktor Stricker - Dom St. Peter und Paul (Die Taufe)
Viktor Stricker - Dom St. Peter und Paul (Die Taufe) - 1996 - Gouache auf Papier - 64x74 cm

Viktor Stricker - St. Peter und Paul
Viktor Stricker - St. Peter und Paul - 1996 - Gouache auf Papier - 65x74 cm

Auch Viktor Stricker war gefesselt von der greifbaren Vergangenheit in Brandenburg, nachdem er 1994 aus Sibirien nach Deutschland umgesiedelt war. Fasziniert von dem hohen Alter der Stadt, war es für ihn ein tief greifendes Erlebnis, seine Hände an Steine zu legen, die fast ein Jahrtausend alt waren. Er versuchte, die historische Dimension in die Gegenwart zu holen und griff in seinen Brandenburger Kirchenbildern religiös-mythologische und psychologische Elemente auf. Kirchen waren zu allen Zeiten Orte der Besinnung auf Leben und Sterben, in denen sich die Grenzen von Raum und Zeit verschoben. Stricker sucht die künstlerischen „Formeln“ und plastischen Möglichkeiten, um menschliche Interaktion und assoziative Fantasien ins Zweidimensionale, Malerische umzusetzen. In „Atmosphäre“ schweben imaginäre Menschengestalten im „ewigen Raum“ des Universums über der Katharinenkirche als Erinnerung an die in vergangenen Jahrhunderten gelebten Menschen. Sie sind durch eine dunkelblaue Zone mit der Kirche verbunden, die als „geschichtliches Dokument“ die Zeiten miteinander verknüpft. Vor und hinter der Kirche stehen als Teil der künstlerischen Fantasie überproportional die Menschen von heute. In „St. Peter und Paul“ setzt er die Geschichte des Doms mit „aktivem roten Hintergrund“ der restlichen Stadt entgegen. Die zentral unter dem Dom liegenden Begräbnisse und die statische Symmetrie der Bildkomposition sind gewollt meditativ angelegt. Strickers „Dom zu Brandenburg“ verweist auf die ursprüngliche Funktion der Missionskirche und lässt die Taufe eines Erwachsenen durch die mächtigen Mauern nach außen treten, ebenso wie die Anklänge an die farbigen Glasfenster, die als Widerschein über der Vierung stehen.